Beatrice - Schwester eines DS-Kindes

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Beatrice
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Beatrice - Schwester eines DS-Kindes

Beitrag von Beatrice » 22.06.2011, 11:28

Hoi zäme

Ich war ja so sicher, dass ich einmal eine Vorstellung geschrieben hatte. Offenbar habe ich mich da geirrt - also hole ich das jetzt endlich auch noch mal nach.

Also, ich heisse Beatrice und bin anno 1967 geboren. 3 Wochen zu spät und ich erlitt Sauerstoffmangel bei der Geburt. Dadurch habe ich ein gottlob eher leichtes CP davon getragen. Ob die Augenprobleme auch daher rühren oder ob sie doch erblich sind - das kann mit Sicherheit keiner sagen. Fakt ist, dass ich hochgradig kurzsichtig bin und ohne Brille keinen messbaren Visus habe -also ohne Brille gelte ich als blind. Trotzdem habe ich 4 Jahre so gelebt und ausser vielen Stürzen und Beulen nie etwas Gröberes gehabt. Meine Mutter merkte es schon sehr schnell, dass ich schlecht sah, doch der Augenarzt fand, ich müsste schielen, wenn ich schlecht oder nichts sehe. Und ich schielte eben nicht. 3 Mal suchte meine Mutter mit mir den Augenarzt auf, jedes Jahr wieder mit neuen, eindeutigen Beobachtungen - aber er nahm das einfach nicht ernst. Erst als ich 4 Jahre und 4 Monate alt war, untersuchte er mich einmal genauer -und fiel dann offenbar fast vom Stuhl - denn er hatte noch nie ein so kurzsichtiges Kind gesehen.
Nun, seitdem habe ich also eine Brille und es ist mir noch nie passiert, dass ich sie irgendwo vergessen hätte.
1970 bekamen ich und meine Schwester zwei Brüderchen. E. und Daniel. Zwillinge, aber ganz verschiedene. E. war kerngesund und Daniel hatte das Down Syndrom und einen komplizierten Herzfehler. Ich liebte Daniel ihn heiss - und er mich. Wir hatten irgendwie eine besondere Verbindung zueinander. 10 Jahre durfte ich einen ganz besonderen Bruder haben, den ich nie hergeben wollte -und dann doch musste.
Unbegreiflich noch heute ist für mich, wie er starb, wie plötzlich er einfach nicht mehr da war. Ich kam aus der Schule nach Hause und es war alles anders als noch am Morgen. Daniel ass ja immer in der Schule. Am Morgen hatten wir uns genau wie immer voneinander verabschiedet. Umarmen, Knuddeln, Nasenstups. Am Mittag hatte Mama kein Essen gemacht und fragte, ob ich Daniel "Auf Wiedersehen" sagen wollte.
Ich kam gar nicht draus. Und dann sagte sie mir, dass Daniel nicht mehr lebt, dass er ein Herzversagen im Schulbus erlitten hatte. Ich friere noch heute, wenn ich dran denke. Dass es zu spät war, ihm zu helfen. Es war ein totaler Schock - ich stürzte danach in eine Krise - niemand hat zu jener Zeit die trauernden Geschwister richtig betreut. Wir wurden einfach vergessen.
Und manche blöden Leute kamen, die uns sagten, wir sollten doch nicht traurig sein, wegen Daniel. Er sei ja behindert gewesen und man habe es ja gewusst, dass er nicht lange leben würde. Und wir wären ja jetzt ENTLASTET!!!! Und Daniel ginge es jetzt sicher besser.

Tja, ich könnte noch viel erzählen, doch es hilft ja nicht mehr. Jedenfalls habe ich in jener Zeit viele Leute, die ich vorher nett fand, von einer anderen widerlichen Seite kennengelernt. Sie heuchelten ihre Zuneigung zu Daniel offenbar nur.

Daniel aber ist in mir geblieben, ich habe ihn nie vergessen und möchte es nie. Er ist und bleibt mein ganz besonderer Bruder und er hat mich bestimmt positiv geprägt.

Und immer, wenn ich ein neues Kind sehe wie Daniel, dann denke ich, es bringt mir einen Gruss von ihm. Es hat dasselbe Gesicht, die selben lieben Augen, das selbe glucksende Lachen - einfach diese besonders liebenswerte Art, die Menschenfreundlichkeit und Lebensfreude in sich trägt.

Die Verbundenheit diesen und auch auf andere Art behinderten Kindern gegenüber ist sicher sowohl aus der eigenen Betroffenheit wie auch aus Daniels gewachsen.

Hauptsächlich bin ich im Forum http://www.dasanderekind.ch aktiv, doch wenn es Dinge gibt, die wir dort erfahren und die auch Euch von Nutzen sein könnten, dann teile ich das hier mit

Liebe Grüsse

Bea

Ich führe bei uns im Forum ein Buchtippliste über geistige Behinderung bei Kindern
http://www.dasanderekind.ch/phpBB2/view ... f=10&t=223

und eine Homepageliste
http://www.dasanderekind.ch/phpBB2/view ... =28&t=1301

Beide werden laufend erweitert

Vielleicht habt Ihr mal Bedarf und schaut rein.
Zuletzt geändert von Beatrice am 17.01.2017, 18:25, insgesamt 1-mal geändert.


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Ursula
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Danke

Beitrag von Ursula » 08.08.2011, 22:01

Hallo Beatrice

Danke für Deinen aufgestellten und traurigen Bericht über Dich und Daniel! Es ist traurig, dass er so früh wieder gehen musste...
Auch für unsere ganze Familie wäre es sehr hart, von Roman Abschied nehmen zu müssen, besonders so ohne jede Vorbereitung und Vorwarnung... Nicht auszudenken!

Liebe Grüsse
Ursula

Beatrice
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Beitrag von Beatrice » 20.02.2015, 20:43

Hoi zäme

Ich habe da einen alten Aufsatz ausgegraben, den ich seinerzeit im Mai 1981 in der Schule zum Jahr der Behinderten schrieb. Ich erhielt einen glatten Sechser dafür.

Da ich finde, dass er noch heute wertvolle Ansätze enthält und wir sehr erfinderisch waren beim Spiele-Erfinden, sodass auch ein körperlich behindertes Mädchen mitmachen konnte - stelle ich diesen Aufsatz mal hier ein

Aufsatz zum Thema: Behinderung - Jahr der Behinderten

Mein Bruder hat das Down-Syndrom. Syndrom bedeutet, dass etwas mit seinen Genen nicht stimmt. Ob es mit unseren Genen stimmt oder nicht, dafür können wir selber gar nichts. Das passiert schon als Baby im Bauch der Mama. Bis wir fertig sind, so wie das normal wäre, kann ganz viel schief gehen. Wie in einer Arbeit, die jemand macht. Wie bei einem Haus, an dem viele mitbauen. Einer ist vielleicht mal nicht ganz bei der Sache und misst was falsch aus oder gibt zuviel oder zuwenig Zement in die Masse. Schon ist es passiert und das Haus hat an einem Ort einen Fehler. Beim Haus kann man den Fehler vielleicht reparieren. Das Haus lebt ja nicht. Aber bei einem Menschen, wo ein Gen einen Fehler gemacht hat - das kann man nicht mehr ändern. Dann muss der Mensch so leben lernen. Manche sagen, mein Bruder ist behindert. Die Kinder in der Strasse spotten über ihn, weil er speziell aussieht und anders spricht.
Ich sage, mein Bruder ist besonders. Behindert ist er nicht. Er kann sehr viel, was nicht viele können. Er biegt seine ganze Hand nach hinten und jeden einzelnen Finger auch. Er kann den Spagat ohne sich vorher aufzuwärmen. Er ist ein Schlangenmensch, eigentlich ein Künstler. Und dass er nicht rechnen kann, das stimmt zwar, doch viele können nicht gut rechnen - auch hier in der Klasse bei mir.
Schade, dass man die Zunge der anderen Kinder in der Strasse nicht mal so über Nacht vergrössern kann. Das würde ich so gerne machen - warum?
Weil die Kinder dann merken würden, wie es meinem Bruder geht mit seiner grossen Zunge. Dass man nicht deutlich sprechen kann, wenn die Zunge so gross ist. Vielleicht würden sie dann aufhören, meinen Bruder zu verspotten und stattdessen denken, dass es grossartig ist, dass er dennoch sprechen kann und wenn man sich Mühe gibt, versteht man ihn auch.
Ich verstehe ihn immer. Mein Bruder kann auch Mundharmonika spielen, er hatte nie einen Lehrer. Er kann es einfach, Opa sagt, er ist ein Naturtalent. So sagt man den Menschen, die etwas ganz gut können, ohne es gelernt zu haben. Noch etwas kann mein Bruder gut. Er kann lachen und ganz prima trösten. Und er hat das "Ich-hab-Dich-lieb"-Syndrom. Er umarmt gerne Menschen. Den Doktor und den Pfarrer auch und den Milchmann. Manchen macht das Angst, aber die, welche es zulassen, denen wird es ganz wunderbar warm. Dann sagen sie zu Mama, dass Daniel sie berührt habe. Und sie meinen nicht nur die Umarmung. Daniel kann einen noch tiefer innen berühren - da wo die Seele wohnt.
Ich finde es schön, die Schwester eines besonderen Bruders zu sein.

In unserer Strasse wohnt noch jemand, von der die Leute sagen, sie sei behindert. Sie ist viel älter als wir, fast erwachsen. Aber sie geht immer an der Hand eines anderen Menschen. Sie hat auf der rechten Seite ihres Körpers gar kein Gefühl und hinkt. Aber sie kann gehen. Das ist eigentlich ein Wunder. Sie fühlt ihre rechte Seite nicht, kann aber das Bein nachziehen und auch stehen, ohne dass sie wegsackt. Das sollten die Kinder in der Strasse mal versuchen können - keines könnte das. Mein Bruder ist geistig behindert, oder geistig besonders, anders ausgerüstet als die meisten.
Miriam, das grosse Mädchen in der Strasse ist körperlich besonders. Ihre rechte Hand kann sie nie öffnen, sie spürt sie nicht. Aber hoppla, sie kann den Reissverschluss ihrer Jacke mit einer Hand schliessen. Ich kann das probieren, so lange ich will, das schaffe ich nie. Und in meiner Klasse kann das auch niemand. Nicht mal der Lehrer. Sind wir deswegen jetzt auch "behindert"

Wer gibt dann jemandem das Recht, einen anderen behindert zu nennen und sich lustig darüber zu machen. Wenn jemand mit speziellen Voraussetzungen leben lernen muss, dann ist das immer eine besondere Leistung. Dafür sollte man sie bewundern und nicht auslachen. Oder sie einfach ganz normal behandeln.

Wir haben ein Spiel erfunden, eigentlich mehrere. Wir bandagieren allen die rechte Hand ein, so, dass man die Finger nicht mehr einzeln bewegen kann. So versuchen wir, Sandkuchen zu backen. Und manchen machen wir den Arm noch in die Bandage rein, dass er nach unten guckt, wie bei Miriam. Und auch ein Bein wird bandagiert. So Federball zu spielen, ist irrsinnig schwierig. Bei diesen Spielen ist Miriam dabei. Ihr binden wir nichts ein, sie ist wie sie ist und wir sind ein wenig mehr wie sie. Bei diesen Spielen gewinnt Miriam immer.

Leider spielen nie alle Kinder der Strasse mit. Vielen macht es mehr Spass, über andere zu spotten als einmal zu versuchen, mit deren Voraussetzungen zu spielen. Und zu merken, dass es einarmig gar nicht gut geht und dass jeder, der solches doch tun kann, ein Held ist. Und nicht behindert, Und nicht doof. Einfach ein Mensch mit besonderem Bauplan. Ein Mensch wie Du und ich. Bei jedem von uns hätte ein Gen einen Fehler machen können. Wenn es nicht passiert, haben wir Glück gehabt.
Ich finde, das sollte den Kindern von heute und auch den Grossen wieder mal deutlich gesagt werden.

Ich bin auch besonders. Meine Augen sehen nicht gut und ich habe eine Schwäche in der rechten Körperhälfte. Man nennt es cerebrale Störung. Es kommt, weil ich bei der Geburt zuwenig Sauerstoff bekommen habe. Nicht weil ich doof war, sondern weil er zu knapp vorhanden war und meine Nabelschnur sich mir um den Hals gewickelt hatte. Mich lachen auch manchmal Kinder aus. Es tut mir auch weh. Aber ich sage mir, sie sind halt dumm und wissen es nicht besser.

Trotzdem wäre es schön, wenn es mehr Kinder so sehen könnten wie ich und meine Schwester und die Kinder, die bei unseren besonderen Spielen mitmachen. Das jeder Schwächen hat und jeder Stärken und man sich statt auslachen nur noch anlachen würde.

Gerade ist das glaube ich noch mehr ein Traum, aber ich baue daran, dass der Traum wahr wird.

Jedenfalls hat mir schon mal jemand gesagt, dass ich zwar schlechte Augen habe, aber irgendwie doch viel mehr Wichtiges sehe. Das hat mich gefreut.

Beatrice Pfister, im Mai 1981
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elisa
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Beitrag von elisa » 20.02.2015, 22:59

Liebe Beatice,
Dein Aufsatz ist wirklich "de Hammer"!!!- Hat mich sehr berührt
Danke für deinen tollen Beitrag im Forum.
herzlich
Elisa
Elisa & Mike mit Serina (2013)

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Andrea mit Roman
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Beitrag von Andrea mit Roman » 23.02.2015, 21:33

liebe Beatrice
dein Aufsatz hat mich sehr berührt, wie du über Daniel und das Nachbarsmädchen unter einem andern Blickwinkel schreibst!
Du hast so tiefgründige Gedanken in Worte gefasst. Während dem Lesen habe ich immer überlegt, wie alt du das warst, am Schluss sah ich, dass du es datiert hattest. 14 Jahre warst du.
Ich komme nicht aus dem Staunen heraus!
Danke, dass du das mit uns geteilt hast und danke auch für deine Vorstellung.
Wie alt warst du, als dein Bruder Daniel zur Welt gekommen ist?
Wahrscheinlich bist du eine so feinfühlige Person geworden, weil auch du mit gewissen Erschwernissen durchs Leben gehen musst udn weil du mit Daniel udn auch in aller Selbstverständlichkeit mit dem Nachbarsmädchen mit der Bewegungsbehinderung aufgewachsen bist.

Du hast als Kind erlebt, was Alle Mitschüler von Roman während der 6 Jährigen Integration erlebt hatten: es ist normal , verschieden zu sein!

Ich bin übrigens gleich alt wie du.
Herzliche Grüsse
Andrea mit Roman (5/2000), DS, und grossem Bruder (97)

Inklusion
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Beitrag von Inklusion » 26.02.2015, 14:45

Liebe Beatrice
Danke für Deinen Vorstellungsbeitrag und dass Du Deinen Aufsatz mit uns geteilt hast. Du hast alles so einfühlsam und treffend formuliert. Es stimmt uns traurig und macht gleichzeitig Mut, denn Du beschreibst so eindrücklich, wie liebenswert Dein Bruder war und es ist alles so gut nachvollziehbar. Die pränatale Diskussion sollte um solche Beiträge wie Deine ergänzt werden, denn sie verdeutlichen, wie lebenswert das Leben von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist und wie bereichernd auch diese Menschen für ihre Familie und und ihr Umfeld sind. Uns zeigt es auch, wie wichtig es ist, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen sichtbar in unserer Mitte leben. Wir dürfen diese Bereicherung dank unserer Tochter Olivia erleben. Die selbstverständliche Sichtbarkeit und das Teilhaben in der Gesellschaft hilft Ängste und Unsicherheit abzubauen, und den Menschen und nicht dessen sogenannte Beeinträchtigung in den Vordergrund zu stellen. Daher finden wir es schade, dass viele unserer beinträchtigten Mitmenschen den ganzen Tag in heilpädagogischen Schulen oft ohne Berührungspunkte zum Quartier sind oder in Werkstätten arbeiten, abseits unserer Gesellschaft. In unserer Nachbarschaft leben Heimbewohner und an unserer Strasse befindet sich ein Atelier. Alles was wir davon sehen, sind maximal drei Bewohner, die wir jeweils grüssen, selten Gruppen, die zu Fuss mit Betreuenden unterwegs sind oder ab und zu ein Gesicht, das aus einem Transportbus schaut. Deshalb, und natürlich auch wegen Olivia, machen wir uns zunehmend Gedanken, wie wir das ändern können.
Du hast noch etwas Wichtiges angesprochen, wie schmerzlich Du es auch als Schwester erlebt hast und dass Ihr Kinder mit Eurer Trauer allein gelassen wurdet. Etwas das vermutlich auch heute noch passieren kann, wir hoffen, dass es vermehrt Unterstützung ausserhalb der Familie gibt. Wie geht es Deiner Familie heute und habt Ihr Geschwister einen guten Kontakt zueinander? Ist Schreiben Dein Hobby oder Dein Beruf?
Liebe Grüsse
Ottila und Familie

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Beitrag von Beatrice » 26.02.2015, 23:19

Hoi zäme

Danke für Eure anerkennenden Beiträge zu meinem Aufsatz. Schreiben ist bis auf Weiteres nur mein Hobby, doch schon der Deutschlehrer in der Sek. war einfach begeistert von meinem Schreibstil und meinte, ich müsse Schriftstellerin werden.
Tatsächlich gibt es ein Bilderbuch von mir, doch wir finden keinen Verlag - ich und meine Schwester. Und wir wollen keine 4000 Franken zahlen, damit es gedruckt wird. Also vorderhand bleibt es beim Entwurf und bei einem Prototyp, das man den Neffen erzählt.
Ich war zum Zeitpunkt, als ich den Aufsatz schrieb konkret 13 Jahre und 7 Monate alt. Vielleicht etwas gereifter als die Altersgenossen - ich hatte Krebs als 8jährige und eben diese Behinderungen selber.
Als er geboren wurde, war ich 3 Jahre und einen Monat alt.
Daniel starb 3 Monate nachdem ich den Aufsatz geschrieben hatte.

Wir verbleibenden Geschwister haben es gut zusammen, doch erst ein Erlebnis im Sommer vor 2 Jahren brachte uns dazu, wieder mal zusammen über Daniel zu sprechen.
Mein gesunder anderer Bruder, der Zwilling von Daniel, er hat seinen Bruder nach dem Tod offenbar wirklich vergessen. Wir hatten an dem Tag ein Fest und unsere Neffen wollten nicht mit einem DS-Kind auf dem Spielplatz spielen, weil er böse aussähe. Und da habe ich ihnen halt von Daniel erzählt, der ein ganz lieber war und der der Bruder von ihrem Papa gewesen war. Danach holten sie ihn und liessen ihn mit ihnen spielen. Der Kleinere unserer Neffen rannte dann zu Oma und berichtete ihr aufgeregt, dass der Elia ein Bub sei wie der Daniel und sie mit ihm spielen würden. Das gab leider bei meiner Mutter den Ausschlag, sehr wütend auf mich zu werden. Sie wollte nicht, dass dieses Thema wieder aufgewärmt würde und fand es unmöglich von mir, dass ich das jetzt den Buben erzählt habe.
Danach kamen meine Geschwister mal zusammen und sprachen darüber. Da wurde meinem gesunden Bruder bewusst, dass es in unserer Familie ja früher noch so einen DS-Buben gab - seinen eigenen Zwillibruder. Und er war so geschockt, dass er nie mehr an den gedacht hatte zuvor.
Das war bei uns aber auch darum speziell, weil zu Hause nach Daniels Tod niemand mehr mit uns redete darüber. Nur, dass Daniel es nun im Himmel schon schön hat. Mehr wollte man uns nicht sagen, wenn wir fragten, wandte sich die Mutter ab. Sie trug Kummer genug und wir lernten, besser still zu sein um sie nicht noch trauriger zu machen. So ist es passiert, dass der gleichaltrige Bruder von Daniel und auch die Schwester, die ein Jahr älter war - den besonderen Bruder vergassen, bzw. die Schwester nur selten an ihn dachten.
Ich hingegen habe sehr viele Erinnerung an Daniel und an manche erinnerten sich auch die Geschwister, als ich davon erzählte. Z.B. wie Daniel in der Kirche bei der Erstkommunion den Pfarrer umarmte und Danke brummelte, obwohl wir zig Stunden mit ihm Kommunion gespielt hatten um ihm beizubringen, dass er Amen sagen sollte.

Nach dem plötzlichen Tod von Daniel plagten mich fürchterliche Schuldgefühle
Mir wurde bewusst, dass ich in der letzten Zeit vor seinem Tod nicht immer so nett mit ihm war. Das war, weil ich in die Sekundarschule gekommen war, da war es schwerer für mich als in der Primar, es gab mehr Hausaufgaben und alles. Und Daniel wollte nicht verstehen, dass ich erst die Hausaufgaben machen muss und dann erst mit ihm spielen kann. Und dass die Husis länger gehen. Immer stand er wieder im Zimmer und blökte, dass ich jetzt kommen soll. Und ich kam so unter Druck, dass ich ihn manchmal rabiat aus dem Zimmer beförderte. Er konnte ja so stur sein - kennt Ihr vielleicht;-) - Ist ja auch fast ein Markenzeichen der DS-Kids.
Dann schloss ich meine Zimmertür ab und liess ihn draussen nach mir brüllen. Wenn ich dann endlich kam, war er manchmal noch bockig, aber bald dann wieder lieb und es schien vergessen.
Doch als er dann gestorben war, plagten mich so schlimme Schuldgefühle - hätte ich gewusst, dass er stirbt noch im selben Jahr, wäre ich wohl anders zu ihm gewesen - dann hätte es aber vermutlich in der Schule Probleme gegeben.

Man kann die Zeit halt nicht zurückdrehen. Dennoch meinten meine beiden Geschwister, von uns dreien hätte der Daniel sicher mich am liebsten gehabt. Das hätte man ja gemerkt und ich war am meisten mit ihm unterwegs. Schlimm ist für mich, dass es kein einziges Foto gibt von mir und ihm. Von Daniel haben wir eh fast keine Bilder und die von früher waren ja auch alle in himmeltrauriger Qualität. Zum Glück trage ich bildliche Erinnerungen in mir und es kommt vor, dass mir ein DS-Kind ganz besonders wie Daniel vorkommt. Dann wird mir innen warm, als wenn er mich wieder mal umarmen würde

Ich hoffe, ich verliere diese Erinnerungen nie...

Liebe Grüsse

Bea
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