Fruchtwasserpunktion

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Kyle's Familie
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Fruchtwasserpunktion

Beitrag von Kyle's Familie » 24.06.2006, 13:42

Hallo Liebe Mitglieder und Interessierte

Unser Sonnenschein Kyle ist am 3.2.2006 zu uns gestossen. Das er das Down-Syndrom hat, haben wir schnell "verdaut". Was mir jedoch als Mutter am meisten zu schaffen gemacht hat - ich war den ersten Kontakten natürlich mehr ausgesetzt als mein Mann - war die immer und immer wiederkehrende Frage, wie "sowas" passieren konnte. Es kam mir vor wie eine Gehirnwäsche und hat mich in ein tiefes Loch gerissen. Darum habe ich mir den Frust von der Seele geschrieben und versucht, einen Artikel in verschiedenen Zeitungen zu plazieren. Ohne Erfolg. Darum freue ich mich, ihn hier und jetzt zu publizieren.

Sandra

***********************

Was, ihr habt keine Fruchtwasserpunktion gemacht?!


Noch immer begegnet man grossem Unverständnis und Erstaunen, ein behindertes Kind zur Welt gebracht zu haben. Rechtfertigungen werden verlangt.


Die medizinischen Möglichkeiten sind heute vielfältig, bestimmte „Gebrechen“ bereits während der Schwangerschaft am Fötus festzustellen. Und doch schlüpfen immer wieder Neugeborene durch diese Maschen. So unser Sohn Kyle. Er ist am 3. Februar 2006 zur Welt gekommen. Drei Tage nach der Geburt hat man den Verdacht auf Down-Syndrom geäussert, was sich bestätigt hat. Der Schock für uns Eltern war tief, ebenso die unendliche Trauer und Enttäuschung kein normales Kind bekommen zu haben. Erstaundlich schnell haben wir uns mit diesen Gefühlen und dem Thema Down-Syndrom auseinandergesetzt, uns gefangen und Kyle so begonnen zu akzeptieren und lieben, wie er ist. Wenn da nicht immer wieder diese verletzende und vorwurfsvolle Frage aus dem Umfeld kommen würde „Was, ihr habt keine Fruchtwasserpunktion gemacht?!“.

Eine Fruchtwasserpunktion wird auf Wunsch der Eltern etwa im 4. Monat der Schwangerschaft durchgeführt. Mit einer Nadel wird die Bauchdecke der schwangeren Mutter durchstochen und eine Probe des Fruchtwassers entnommen. Statistisch gesehen ist das Risiko dieser Untersuchung um ein mehrfaches grösser, als die Wahrscheinlichkeit, dass das Ungeborene die Anzeichen des Down-Syndroms aufweist. Die Risiken können sein, dass entweder die Fruchtblase verletzt und so ein Abord provoziert wird oder dass durch den Eingriff eine Infektion entsteht und so das Kind verloren geht oder mit einer Behinderung zur Welt kommt oder dass während der Punktion der Fötus durch die Nadel verletzt wird. Ob man – wohlverstanden - ein wahrscheinlich gesundes Kind diesem Risiko auszusetzen will, ist den Eltern überlassen. Wie weiter, wenn die Untersuchung den Verdacht auf Down-Syndrom bestätigt? Eigentlich drängt sich dann eine Abtreibung auf, denn sonst müsste man die Untersuchung gar nicht machen.

Die meisten werdenden Eltern machen die für das Ungeborene ungefährlichen Tests: Messen der Nackenfalte beim Ultraschall im 3. Monat und eine Blutanalyse der Mutter. Sind diese Werte unverdächtig, verzichten die meisten auf die Fruchtwasserpunktion – wie wir auch. Voilà!
Die Zeit, die uns bevorsteht, wird nicht immer einfach sein. Kyle ist im Moment ein Baby wie jedes andere auch, doch seine Gesichtszüge werden immer ausgepräger die des Down-Syndroms aufzeigen und seine Entwicklung wird stark verlangsamt sein. Leider ist uns bewusst, dass wir noch vielen verletzenden Äusserungen von Kindern und Erwachsenen ausgesetzt sein werden. Noch immer hat es in unserer leistungsorientierten Gesellschaft wenig Platz für Menschen wie Kyle – die kosten ja nur, fallen unangenehm auf und sind peinlich.

Obwohl viel über Integration von Behinderten gesprochen wird, fragen wir uns, ob diese auch genügend statt findet? Wir selber kamen fast nie in Berührung mit Behinderten und wenn, dann war es uns peinlich. Nicht wegen der Behinderten, sondern weil wir nicht wussten, wie wir reagieren sollten! In unserem Bildungssystem werden wir auf alles Mögliche getrimmt, aber auf die menschlichen Faktoren nicht, das werden wir uns jetzt schmerzlich bewusst.
Diese Woche ist es passiert. Mein Mann und ich haben uns gefragt, wann und wie es sein wird. Ich ging auf einen Besuch mit Kyle. Ich frage den 7 jährigen Sohn, ob er sich Kyle anschauen möchte. Dieser antwortet: „Ist das der, der ballaballa ist?“. Paff!



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Andrea mit Roman
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Beitrag von Andrea mit Roman » 27.06.2006, 13:50

Liebe Sandra
herzlichen Glückwunsch zu eurem kleinen Kyle. Schön, dasss ihr ihn so liebevoll aufnehmen konntet in eurer Familie.
Deinen Artikel finde ich gut, schade, dass du ihn nirgendswo veröffentlichen konntest. Hast du es bei wir Eltern auch versucht?
Habe übrigens erst wieder von Eltern gehört, die sogar bei der Choreonzottenbiopsie das Ergebnis bekamen: gesundes Mädchen und sie bekamen eine Jungen mit DS. Auch diese Nackenfaltentransparenzmessung soll ja etwas vom ungenausten sein, dass es gibt.
Finde es schade, dass bei der pränatalen Diagnostik immer gezielt nach Kindern mit DS gefahndet wird, weiss doch kaum ein Nicht- Betroffener, wie das Leben mit ihnen ist.
Wir wurden oft, gefragt, ob wir es vor der Geburt schon gewusst hätten ( haben wir nicht), aber nie mit dem Unterton, hättet ihr es doch abgetrieben.
Kommst du aus einer sehr ländlichen , katholischen Gegend oder aus einer Bergregion? Dort habe ich schon öfters gehört, dass sich so Vorurteile mehr halten.Das Appenzellerland ist zum Glück diesbezüglich sehr offen.
Habe eigentlich bisher Kinder immer sehr neugierig fragend erlebt, aber nur einmal:ist der behindert. Eine solche Aussage kommt ganz klar von dem Elternhaus. Ansonste wollen Kinder vielleich twissen, wieso Roman noch im kinderwagen sitzt oder er nicht sprechen kann, immer situationsbezogene Fragen.
Das einzige Mal kam ein Kindikind aus der Nachbarschaft mit Manuel heim und fragte mich ( Roman schlief im Bett, er hat ihn nicht gesehen): ist Manuels Bruder eigentlich behindert?, ohne was anderes zu fragen. Das hat mich auch sehr sauer gemacht, ich wusste, dass er das von den Eltern hat.Musste mich schwer zusammenreissen,ihm nicht zu sagen, du bist ja selbst behindert, weil du nicht recht sprechen kannst. Klar ist Roman behindert, aber wo wie er das fragte, hat mich das masslos verärgert.
Nach Romans Geburtsspitalaufenthalt (31/2 Wochen), als ich den geschützen Rahmen des Spitals verliess, habe ich zuerst auch immer gedacht, alle schauen in den Kinderwagen, weil Roman das DS hat. Ich habe nur noch die DS Merkmale eine Zeit lang an ihm gesehen, obwohl sie nur schwach ausgeprägt waren, für viele "normale Menschen"nicht sichtbar.Bis ich mir klar sagen musste, die schauen ,weil er ein herziges Baby ist, wie alle anderen auch, ich schaue auch gerne in die Kinderwägen hinein....
Ich war aber auch froh, dass ich im Ort durch unseren Manuel schon viele Kontakte mit anderen Eltern hatte, die dann ab der Geburt schon über das Ds informiert waren, so musste ich nich timmer lange Erklärungen abgeben.

Wünsche euch fest, dass ihr auch verständinisvollen Menschen um euch herum begegnet und du
auch für dich bereichernde Kontakte mit anderen Eltern knüpfen kannst. Hast du dich schon nach einer Elterngruppe in deinem Gebiet erkundigt? Ich fühle mich in unseren Gruppen sehr wohl, das gibt auch eine gute psychische Stütze.
Herzliche Grüsse
Herzliche Grüsse
Andrea mit Roman (5/2000), DS, und grossem Bruder (97)

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Yvonne Edwards
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Fruchtwasserpunktion

Beitrag von Yvonne Edwards » 29.10.2006, 18:12

Liebe Sandra

Auch ich möchte Dich zu Kyle gratulieren, mittlerweile ist er bald 9 Monate alt! Hoffentlich geht es Euch allen gut. Alles braucht seine Zeit. Dein Artikel ist gut, hoffentlich konntest Du ihn doch publizieren, ich habe es gelesen, und ich verstehe Dich.

Mir hat die Frauenärztin bei meinen vier Schwangerschaften die Fruchtwasserpunktion angeboten, weil ich zur Risikogruppe über 35 gehörte. Ich habe immer aus Gewissensgründen abgelehnt, weil ich niemals abtreiben würde und deshalb die Untersuchung keinen Sinn hat. Nun hat uns Robert mit DS als drittes Kind am 26.10.99 überrascht. In den letzten SSW musste ich im Unispital Zürich bleiben, weil sie einen 'double bubble' im Ultraschall entdeckt hatten, und er unmittelbar nach der Geburt im Kispi operiert werden sollte. Weil mich die ganze medizinisch-kalte Umgebung so gestresst hatte, bekam ich im Spital vorzeitige Wehen und musste stationär bleiben. Ich wurde von einem Neonatologen orientiert, dass ein Kind mit einem solchen Befund Trisomie 21 haben könnte, und ich sagte ihm, ich nehme das Kind an, so wie es sei. Schlimm war die erste Nacht, wo sie mir eine Fruchtwasserpunktion machten, weil sie mir sagten, ich hätte zuviel Fruchtwasser, und das Kind sei unter Druck. (Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine wunderbare Schwangerschaft...). Also musste ich einwilligen. Es war eine Pein, sie mussten das Kind zuerst mit einem Mittel beruhigen und dann sah ich im Ultraschall diese lange Nadel in der Gebärmutter. Sie zogen ein Liter raus, dann sah ich, dass die Nadel zu nahe beim Kind war und ich zuckte, so mussten sie die Nadel rausziehen. Nach diesem Prozedere liessen sie mich alleine in einem Zimmer im Keller (die Gebärsääle sind im Keller), und da hatte ich eine Prozession von Aerzten, die sich immer wieder vorstellen mussten (als ob ich so ein interessantes Untersuchungsobjekt wäre...). Ich war noch vom ganzen wie benommen, als ein Arzt kam, der mich überreden wollte eine genetische Analyse des Fruchtwassers zu machen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich geweigert, weil ich keinen Sinn erkannte. Er bedrängte mich mit seiner Argumentation und sagte, es mache Sinn, weil wenn dass Kind eine schwere Behinderung habe, so lohne es sich nicht zu operieren. Ich traute nicht meinen Ohren... Dass die Medizin so kaltblütig sein kann. Ich sagte schliesslich zu, und betete zu Gott, dass ich nicht über das Schicksal des Kindes entscheiden müsse.
Die Geburt verlief spontan und gut. Doch während den Wehen kam eine Aerztin und fragte, ob ich nicht eine genetischen Test gemacht hätte. Ich bejahte und sagte, ich hätte keinen Bescheid (nach 2 Wochen) erhalten, und somit dachte ich es sei i.O. Sie verschwand und kam nach etwa einer Stunde zurück. Mit einem fast begnügten Lächeln sagte sie mir, es sei positiv, d.h. das Kind habe Trisomie 21, dann verschwand sie für immer. Gott sei Dank war mein Mann bei mir und wir konnten alles besprechen, wie wir unser Leben gestalten werden, wie wir ihn aufnehmen und mit den anderen Geschwistern erziehen möchten. Eine grosse Freude überkam mich und die Liebe überschwang in mir, als ich schliesslich den kleinen Robert nach der Geburt nur für kurze Zeit in den Armen halten konnte. Dann wurde er mir weggenommen, in der Neonatologie einquartiert und schliesslich ins Kinderspital überführt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was ich festgestellt habe ist, dass sogar die Mediziner mit den DS-Kindern nicht fertig werden, d.h. viele meinen, sie sollte es gar nicht geben, nach dem heutigen Stand der Medizin. Und doch! Denn die menschlichen Pläne sind nicht Gottes Pläne. Mit Robert habe ich gelernt -wie viele andere Eltern mit DS-Kindern- mit Selbstbewusstsein aufzutreten. Wir werden uns nicht von der Gesellschaft kleinkriegen lassen, denn wir haben eine grosse Aufgabe mit unseren Kindern: der Welt die verlorene Menschlichkeit wieder aufzuzeigen. Oder, lernen wir nicht selber menschlich viel von unseren Kindern? Ich, auf jeden Fall. Alles Gute!
Robert, geb. 26. Oktober 1999, Duodenalstenose nach der Geburt operiert. Vier Schwestern: Lucy (27, in England), Veronica (14), Claire (12) und Jessica (10). Er ist separativ in der HPS Uster, Fussball bei den Sportskanonen Herrliberg und lernt Geige.

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Kyle's Familie
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Beitrag von Kyle's Familie » 03.11.2006, 18:59

Hallo Yvonne

Danke für Deinen Kommentar. Kyle hatte in der Zwischenzeit seine Herz-Op und ist munter wie eh und je. Nein, den Artikel habe ich nirgends plazieren können, werde es später mal wieder probieren.

Leider weiss ich nicht, was ein "double bubble" ist, aber ich gehe mit Dir einig, dass eine menschliche und einfühlsame Betreuung des Fachpersonals das A und O in einer solchen Situation ist/wäre. Bis auf die Mitteilung des Oberarztes, den wir notabene in den 3 Tagen nach der Geburt von Kyle noch nie zuvor gesehen hatten, dass unser Sohn "mongoloid" sei, war die Betreuung im Wöchnerinnenbett im Kantonsspital Baden sehr, sehr gut und professionell. Wie Du habe ich uns als "interessantes Untersuchungsobjekt" empfunden. Wir wurden mehrmals angefragt, ob wir uns für Diplomarbeiten, Studien, Krisenbewältigungen etc. zur Verfügung stellen wollten. Bei den ersten zwei Anfragen habe ich zugesagt, dann habe ich abgeblockt.

Ich traute meinen Augen nicht! Du schreibst, der Arzt habe gesagt: "... es (die Fruchtwasseruntersuchung) mache Sinn, weil wenn dass Kind eine schwere Behinderung habe, so lohne es sich nicht, zu operieren." Da sträuben sich meine Nackenaare!

Ich hoffe, eurem Robert und der ganzen Familie geht es gut!

Liebe Grüsse
Sandra

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